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Jetzt geht der Lockdown also weiter. Länger, härter, schärfer.

Wir fahren auf Sicht

Natürlich hat auch Stand heute keiner die perfekte Lösung für die hohen Infektionszahlen, das zeigt allein schon der Blick auf andere europäische Länder. Und so muss man sich als Politiker in Regierungsverantwortung die Frage stellen, was man denn tun soll. Wenn man nicht bis zur Zielmarke sehen kann, muss man eben auf Sicht fahren – soweit so verständlich.

Umso erstaunlicher scheinen da die Beschlüsse vom 5. Januar 2021. Denn man hat – und gibt dies selbst zu – keine belastbaren Daten zu Neuinfektionen über die Feiertage sammeln können. Freilich sagt auch niemand, ab wann die Zahlen des RKI wieder belastbar sind, ab wann man also nach Faktenlage entscheiden könnte. Das man einen bestehenden Lockdown bei solch dünner Faktenlage schlecht einfach beenden kann, ist nachvollziehbar. Aber das hätte man sich eigentlich schon beim Einstieg in den harten Lockdown denken können und diesen vorsorglich bis zu einem Tag x, an dem wieder ordentliche Zahlen vorliegen, ansetzen können. Stattdessen hat man einfach die Weihnachtsferien als Zeitraum herangezogen und an deren Ende zunächst das Ende des Lockdowns festgemacht.

Gerade noch nachvollziehbar ist es, dass der Lockdown nun bis zum 31. Januar verlängert wurde. “Gerade noch” deshalb, weil drei Wochen doch sehr reichlich Zeit sind, damit sich die Datenlage des RKI wieder normalisiert. Vermutlich hätten es ein oder zwei Wochen dafür auch getan. Wenn die Entscheidungen also nicht auf der aktuellen Unsicherheit beruhen, worauf dann? Es wäre doch schön, wenn man den Bürgern vermitteln könnte, wie man zur Entscheidung gefunden hat, als alles als gegeben, als alternativlos hinzustellen.

Noch absurder wird es nun, wenn man auf dieser ohnehin unsicheren Datenlage auch noch eine Begründung für eine Verschärfung des Lockdowns sucht. Entweder, die Zahlen sind zu klein, dann wären natürlich neue Maßnahmen zu suchen, allerdings wohl kaum bei weiteren Grundrechtseinschneidungen, sondern gezielter bei den Problempunkten. Oder die Zahl ist zu groß, da eigentlich das Infektionsgeschehen insgesamt abnimmt, man aber davon ausgeht, dass durch weniger Tests das Infektionsgeschehen mindetens gleichbleibt. Dann ist eine Verschärung damit erst recht nicht zu rechtfertigen.

Ist das fair? Wie weit darf ich gehen?

Vor allem der nun eingeschränkte Bewegungsradius in Hotspots sorgt für Diskussionstoff. Wenn Frau Merkel dann noch davon spricht, dass man bei einem Berliner nicht so genau hinschauen wird, ob es 15 oder 15,1 km sind, die er sich in Berlin bewegt, scheint vor allem der Radius ihres Horizontes sehr eingeschränkt. Überhaupt ist diese pauschale Einschränkung nicht nur ein schwerwiegender Grundrechtseingriff, sondern vor allem eine sehr undurchdachte Maßnahme. Ist es wirklich schlimmer, 16 km mit dem eigenen Auto zurückzulegen, um etwas einzukaufen, als 5 km in der womöglich voll besetzten U-Bahn? Vor allem aber: Die 15 km mögen in einer Großstadt, in der ich direkt über dem Supermakrt wohne, großzügig bemessen sein, und ich muss diese vermutlich nicht verlassen, in ländlichen Gebieten sind 15 km aber vielleicht nötig, um zum nächsten Bäcker, Supermarkt oder zur Post zu kommen. Zum Vergleich: München hat einen Durchmesser von etwas mehr als 20 km, da kann ich mich also fast in der gesamten Stadt bewegen und auch mal zum Feinkostladen am anderen Ende der Stadt gehen. Von Steinbach am Wald bin ich mit 20 km noch nicht einmal in Kronach.

“Radius war doch irgendwas mit Pi!?” – blickt die Regierung überhaupt selbst noch durch?

Zahlen lügen nicht

Und auch die 200-Neuinfektionsgrenze klingt zwar erst einmal sehr gerecht, ist sie doch auf 100.000 Einwohner bezogen. Aber bei genauerer Überlegung ist auch dies ein Trugschluss, wie sich zuletzt auch in Coburg gezeigt hat: Bei kleineren Einheiten kann schon ein einzelner wirklicher Hotspot, also zum Beispiel ein Alten- und Pflegeheim zum Überschreiten dieser Grenze führen.

Machen wir ein einfaches Rechenbeispiel mit vereinfachten Annahmen: Nehmen wir eine Pflegeeinrichtung mit 70 Bewohnern. Dazu kommen die doppelte Zahl an Pflegekräften, Besuchern etc. und deren Angehörige. Macht zuammen also 210 Personen. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass jegliche virale Krankheit, ob Grippe, Darmerkrankung etc. sich recht schnell in einem Alten- und Pflegeheim ausbreitet, wenn erst einmal der erste Bewohner infiziert ist. So können wir also davon ausgehen, dass sich innerhalb einer Woche die Hälfte dieser Personen angesteckt haben. Das sind dann 105 Personen, die innerhalb einer Woche als Neuinfektionen gezählt werden. Macht für die Stadt Coburg eine Inzidenz von etwa 250, für den Landkreis Kronach von etwa 160 und für den Landkreis Coburg von etwa 120. Die Stadt Coburg wäre also schon mit der Infektion in einer Einrichtung über dieser Schwelle, bei den beiden Landkreisen würden zwei Einrichtungen genügen. Zum Vergleich: In München macht ein Ausbruch dieser Größenordnung gerade einmal 7 aus. Nun kann man einwenden, dass München auch mehr Pflegeeinrichtungen besitzt. Aber für eine betroffene Einrichtung in der Stadt Coburg müssten zeitgleich 29 Einrichtungen in München betroffen sein, d.h. alle diese Einrichtungen in der selben Woche.

Das Infektionsgeschehen betrifft in beiden Fällen nicht nur Pflegeeinrichtungen und ältere Personen, sondern ist häufig diffuss. Fakt ist aber auch, dass gerade die Infektionen in Pflegeeinrichtungen ein großes Problem darstellen, da hier die Risikopatienten zu Hause sind, die mit größerer Wahrscheinlichkeit einen Platz im Krankenhaus, in der Intensivstation, ein Beatmungsgerät brauchen, auch häufiger versterben. Also müssen sich die Maßnahmen unter anderem auf diese Einrichtungen konzentrieren, da man hier die Probleme wirklich angehen kann und langwierige Genesungsprozesse, eine Überlastung des Gesundheitssystems und hohe Sterblichkeit viel besser verhindern kann, als mit übergriffigen Maßnahmen in der Bevölkerung.

Wann fangen wir an, uns um die Betroffenen zu kümmern?

Natürlich kann damit nicht gemeint sein, dass man die Alten und Pflegebedürftigen einfach “einsperrt” und niemanden mehr an sie heranlässt. Vielmehr gilt es, sie zu schützen und eine Einschleppung der Erkrankung so gut es geht zu verhindern. Und gerade in letzterem Punkt ist wohl noch viel Luft nach oben.

Statt hier mit Coronatests in die breite Masse zu gehen, um zu hoffen, möglichst viele Infizierte aufzudecken und auch die Dunkelziffer klein zu halten, wie es der Ansatz von Herrn Söder ist, sollte man zunächst versuchen, die Testungen in den Einrichtungen lückenlos auf die Reihe zu bekommen. Dies ist nach einem Dreivierteljahr Pandemie immer noch nicht der Fall. So müsste man alle, die die Einrichtungen betreten vorab lückenlos testen. Denn auch Pflege- und Putzkräfte haben ein Privatleben und können so mit Infizierten in Kontakt geraten.

Gerade den Alten sollte die Aufmerksamkeit der Politik in der Pandemiebekämpfung gelten.

Besonders dramatisch ist aber die Besuchssituation: Das komplette Verbot von Besuchen für die Bewohner verbietet sich allein aus humanitären und psychologischen Gründen. Absurd ist aber die Herangehensweise in Bayern: Besucher müssen sich vor dem Besuch testen lassen. Das kann (und wird vermutlich in der Mehrzahl) auch in den Testzentren stattfinden und nicht direkt vor Ort in den Pflegeeinrichtungen. Dazu muss man aber eine Wartezeit von mindestens 24 Stunden einplanen, vielleicht besser 48 Stunden, um das Testergebnis aus zu bekommen. In 48 Stunden kann viel passieren: So kann man sich natürlich in eine Selbstisolation begeben, um vom Test bis zum Besuch nicht mit Infizierten in Kontakt zu kommen. Doch ob das jeder so praktiziert oder gar praktizieren kann (ich denke hier vor allem an Berufstätige) steht auf einem anderen Blatt.

Nicht das ob, sondern auch das wie ist entscheidend

Auch hier ein einfaches Beispiel, dass durchaus dem Alltag recht nahe kommt: Nehmen wir denn Fall eines Mannes, der seine Frau nicht mehr alleine zu Hause pflegen kann, die Kinder sind entweder nicht am Ort oder wollen bei der Pflege nicht helfen. So musste er sie in eine Pflegeeinrichtung einliefern und hat die vielleicht zudem noch demente Frau seitdem auch jeden Tag besucht. Und das ist damit auch das gewohnte Umfeld der Frau.

Nun war diese Umfeld in den letzten Wochen und Monaten ohnehin mehrfach gestört, dennoch möchte der Mann diese Gewohnheit soweit es geht, nicht aufgeben, da dies auch wichtig für den Gesundheitszustand der Frau ist. Er müsste sich aber mindestens alle drei Tage testen lassen. Das macht er auch, hat aber selbst kein eigenes Auto. Er setzt sich also alle drei Tage mit wildfremden Leuten in den Bus, fährt zum Testzentrum und wieder zurück und lebt dann in Isolation bis er zu seiner Frau geht. Und jedes Mal ist diese Busfahrt auch mit einem Risiko verbunden, dem er sich u.v.a. seiner Frau und den Mitbewohnern aussetzt.

Eine Alternative dazu wären Schnelltests, die vor Ort durchgeführt werden könnte. Der Mann kommt in die Pflegeeinrichtung, wird in einen separaten Raum geführt, in dem der Test genommen wird und in dem er auf das Ergebnis des Tests wartet. Ist dieses negativ, darf er zu seiner Frau. Kein Kontakt im Bus, immer ein frisches Ergebnis. Nur leider in vielen Einrichtungen nicht praktiziert. Liegt es an den fehlenden finanziellen Mitteln? Liegt es am fehlenden Personal?

Hören wir mit dem Falschen auf und tun endlich das Richtige

Egal woran es liegt, hier wäre ein Betätigungsfeld, an dem sich die Regierung einmal richtig beweisen könnte. Statt zu sagen, der Staat habe genug Geld, um einen Lockdown auch länger durchzustehen – im Übrigen das Geld seiner Bürger, die diese Schulden auch irgendwann einmal begleichen müssen – könnte man das Geld in Schnelltests und die Einstellung und Schulung von Personal zur Testung stecken.

Aber natürlich ist es einfacher, einen allgemeinen Lockdown zu verhängen, als sich Gedanken über Details zu machen.